Eine Frage, auf die die Ingenieurpsychologin Linda Onnasch überraschende Antworten findet.
Intuitiv bedienbar, flexibel einsetzbar, sicher – mit diesen Eigenschaften wirbt ein Hersteller im Internet für seine brandneue Industrieroboter-Serie. Der Roboter mache sich au?erdem durch seine freundlichen Augen bei Mitarbeiter*innen beliebt. Abgebildet ist ein Roboter mit mehrgelenkigem Arm und Display, darauf Augen mit
fein gezogenen Augenbrauen und Pupillen, die ihre Blickrichtung ?ndern. Für Linda Onnasch ist das Design keine ?berraschung: ?Die Erwartung ist, dass Roboter als vertrauenswürdiger wahrgenommen werden, wenn sie ein Gesicht haben.“ Denn eine mensch- oder tier?hnliche Gestaltung soll an bereits bekannte Szenarien erinnern und positive Assoziationen f?rdern. Dies wurde in verschiedenen Studien zur sozialen Robotik bereits gezeigt.
Um die Annahme zu überprüfen, hat die Ingenieurpsychologin eigene Experimente durchgeführt. Ihre Forschung unterscheidet sich in zwei wesentlichen Aspekten vom Gro?teil bisheriger Arbeiten: Sie adressiert haupts?chlich die Mensch-Roboter-Interaktion im industriellen Kontext, weniger die soziale Robotik, und die Forschungsarbeiten finden mit echten Robotern statt und beschr?nken sich nicht auf ?Was w?re, wenn?“-Abfragen. Das Ergebnis: Die Proband*innen setzen in einen Roboter mit Gesicht weniger Vertrauen als in einen ohne Gesicht, und sie nehmen ihn als weniger zuverl?ssig wahr. Denn in einem industriellen Kontext erwarten Menschen eher, mit einer herk?mmlichen Maschine zusammenzuarbeiten, nicht mit einem ?netten“ Roboter. Onnasch weist auf ein weiteres Defizit hin: Blickbewegungsmessungen zeigten, dass sich die Proband*innen durch das Robotergesicht ablenken lie?en. Statt sich auf eigene Handlungen zu konzentrieren, schauten sie dem Roboter ?in die Augen“. Diese ver?nderten Aufmerksamkeitsmuster k?nnten im echten Arbeitsleben einen negativen Einfluss auf die Arbeitssicherheit haben.
Ingenieurinnen und Ingenieure wünschen sich allgemeine Gestaltungsprinzipien für Roboter“, sagt die Wissenschaftlerin. Die gebe es aber nicht immer. So h?nge auch die Frage, ob ein Roboter menschliche Züge zeigen sollte, vom Einsatzgebiet der Maschine ab. Gerade laufen am Institut für Psychologie der Humboldt-Universit?t auf dem Campus Adlershof Vorbereitungen für eine weitere Versuchsreihe: In dem BMBF-gef?rderten Projekt RoMi untersucht Linda Onnasch mit einem Roboter-Hersteller und weiteren Wissenschaftler*innen aus Philosophie, Industriedesign und geriatrischer Forschung mensch?hnlich und -un?hnlich gestaltete Ger?te mit Pflegekr?ften und Pflegeheim-Bewohner*innen. Erste Ideen dafür, wie die Zusammenarbeit von Pflegekr?ften und Roboter-Kollegen aussehen k?nnte, wurden in Gespr?chen mit einer Pflegekraft generiert. Wie k?nnten Roboter Pflegekr?fte entlasten? Indem sie etwa Aufgaben wie n?chtliche Rundg?nge durch die Zimmer oder das Herumführen von Besucher*innen am Sonntag übernehmen. Keine Entlastung versprach sich die befragte Pflegekraft bei Aufgaben, bei denen sie ihren Klient*innen nahe kommt, wie etwa Füttern oder das Reichen von Getr?nken.
Diese vorl?ufigen Ergebnisse zeigen laut Onnasch, wie technikzentriert die Entwicklung von Robotern tats?chlich ist. Viele Ingenieur*innen forschen vor allem an Aspekten, die eine technische Herausforderung darstellen, wie die sichere Roboterarmbewegung zum Gesicht eines Menschen, um ein Getr?nk zu reichen. Dies sind aber nicht unbedingt die Aufgaben, die aus einer menschzentrierten Perspektive sinnvoll sind. Durch die Fokussierung auf die Nutzer*innen der robotischen Systeme ergeben sich ganz andere Aufgaben und Gestaltungsanforderungen. Dazu geh?rt eine intuitive Bedienung, schlie?lich werden Roboter zunehmend in Alltagsbereichen eingesetzt, wo sie direkt mit Menschen interagieren und es keine professionellen Operateur*innen gibt. ?Au?erdem sollte das Wissen über die Menschen für die Gestaltung genutzt werden“, so Onnasch. Das bedeute beispielsweise, dass mobile Roboter sich an geltenden Normen orientieren sollten, wie der Einhaltung der pers?nlichen Distanzzone von rund einem Meter um einen Menschen herum. Ein anderes Beispiel ist die Eigenschaft von Menschen, immer dorthin zu blicken, wo sie im n?chsten Moment hinfassen. Mechanismen
wie diese k?nnen Konstrukteur*innen nutzen, um auch Bewegungen eines Roboters vorhersehbar zu machen und damit die Mensch-Maschine-Interaktion m?glichst intuitiv zu gestalten.
W?hrend Roboter mit Menschen physisch interagieren, treten automatische Assistenzsysteme ihren Nutzer*innen virtuell gegenüber: als Einparkhilfe im Auto, als Autopilot im Cockpit eines Flugzeugs oder in der Leitwarte eines Chemiewerks. Auch solche Situationen der Mensch-Maschine-Interaktion erforscht Linda Onnasch. Hier hei?t menschzentrierte Gestaltung für die Ingenieurpsychologin vor allem: Automatisierung ist gut, wenn sie Aktivit?ten wie Informationsaufnahme und
-verarbeitung erleichtert. Wichtige Entscheidungen sollten dagegen Menschen überlassen bleiben. Und wenn sich Maschinen einmischen, sollten Entwickler* innen die Interaktion zumindest so gestalten, dass sie für die Nutzer*innen durchschaubar bleibt.
// Text: Kristina Vaillant
Prof. Dr. Linda Onnasch
Juniorprofessorin für Ingenieurpsychologie | Institut für Psychologie | Lebenswissenschaftliche Fakult?t
Forschungsschwerpunkte: Mensch-Roboter-Interaktion, Automation, kognitive Assistenzsysteme