Forschende der Humboldt-Universit?t zu Berlin und der Yale University haben untersucht, wie Mitochondrien, die Energieproduzenten der Zellen, im Gehirn verteilt sind. Ihre Ergebnisse er?ffnen neue Perspektiven auf die Organisation neuronaler Netzwerke.
Die Kartierung des Gehirns erlebt derzeit einen gewaltigen Aufschwung. Dank Künstlicher Intelligenz und modernster Elektronenmikroskopie k?nnen Forschende die Nervennetze unterschiedlichster Tierarten – von Insekten bis zum Menschen – heute mit nie dagewesener Detailtiefe rekonstruieren. So entstehen aufwendige Connectome, das sind dreidimensionale Karten, die zeigen, wie tausende Nervenzellen miteinander verbunden sind.
Zellul?rer Fingerabdruck
Eine nun in der Fachzeitschrift Science ver?ffentlichte Studie von Forschenden der Humboldt-Universit?t zu Berlin (HU) und der Yale University (USA) richtet den Blick jedoch ins Innere dieser Netzwerke. Statt nur die Verschaltung zwischen Zellen zu betrachten, untersucht sie, wie die ?Kraftwerke“ der Zelle, die Mitochondrien, innerhalb des neuronalen Geflechts verteilt sind.
Mitochondrien liefern Energie für nahezu alle Prozesse im K?rper und übernehmen weit mehr Aufgaben als bislang angenommen: Sie beeinflussen die Signalübertragung zwischen Nervenzellen, steuern den Schlaf und entscheiden mit über Leben und Tod einer Zelle. Jede Nervenzelle enth?lt Hunderte dieser winzigen Organellen. Da das Gehirn besonders viel Energie verbraucht, kann ihre Anordnung entscheidende Hinweise auf die Arbeitsweise neuronaler Schaltkreise geben.
Das internationale Forschungsteam analysierte für seine Studie einen Elektronenmikroskopie-Datensatz des Fruchtfliegengehirns mit über 100.000 Mitochondrien – eine Datenmenge, die vor wenigen Jahren undenkbar gewesen w?re – und entwickelte neue statistische Verfahren, um aus dieser Fülle biologische Strukturen zu erkennen. Ein überraschendes Ergebnis: Die Form der Mitochondrien wirkt wie ein zellul?rer Fingerabdruck. Allein anhand ihrer ?u?eren Gestalt konnten die Forschenden vorhersagen, zu welchem Zelltyp die Organellen geh?ren und welchen Neurotransmitter, das sind biochemische Botenstoffe, die jeweilige Nervenzelle nutzt. Auch ihre Verteilung folgt klaren Regeln: Mitochondrien h?ufen sich in der N?he von Synapsen, unterscheiden sich zwischen Zellbereichen und zeigen charakteristische Verteilungsmuster je nach Zellklasse.
Im Vergleich mit einem Maus-Connectom erwiesen sich viele dieser Prinzipien als erstaunlich ?hnlich. Ein Detail aber unterscheidet beide Arten: W?hrend Mitochondrien bei den Fruchtfliegen Abstand voneinander halten, bilden sie bei M?usen Cluster – eine Beobachtung, die neue Fragen nach der funktionellen Bedeutung dieser Anordnung aufwirft.
Neue Erkenntnisse zur Leistungsf?higkeit des Gehirns
?Wenn wir Mitochondrien in die Analyse von Connectomen einbeziehen, sehen wir das Gehirn aus einem v?llig neuen Blickwinkel“, sagt Susanne Schreiber von der Humboldt-Universit?t, die die Studie gemeinsam mit Damon Clark von der Yale University leitete. ?Es geht nicht nur darum, welche Zellen verbunden sind, sondern auch darum, wie jede Zelle ihr Inneres organisiert, um diese Verbindungen zu erm?glichen und bestm?glich zu unterstützen.“
Die Studie schl?gt eine Brücke zwischen Zellbiologie und Systemneurowissenschaften. Sie zeigt, dass die Leistungsf?higkeit des Gehirns nicht allein von seiner Verschaltung abh?ngt, sondern ebenso von der mikroskopischen Organisation seiner Energiesysteme. Die Analyse verdeutlicht, wie fein abgestimmt die Prozesse innerhalb von Zellen sind – ein Befund, der nahelegt, künftig auch andere Organellen in Connectomen zu untersuchen, um ihre Rolle für die Funktion neuronaler Schaltkreise zu verstehen.
