Advent! Oder warum uns Licht so viel bedeutet

Warum uns Licht in der jetzigen Jahreszeit besonders viel bedeutet, erkl?rt Theologieprofessorin Ruth Conrad in ihrem Beitrag.

Am 24. November war es wieder so weit. Wie in jedem Jahr wurde am Montag nach dem Totensonntag die Weihnachtsbeleuchtung in der City Berlin West angeschaltet. Vom Wittenbergplatz bis zum Rathenauplatz in Halensee leuchten dank privater Spenden die Stra?enzüge in festlicher Beleuchtung. Die Weihnachtsbeleuchtung spricht eine alte Sehnsucht von Menschen an – Licht im Dunkel. Das Jahr geht zu Ende, die Tage werden kürzer, dunkler, unwirtlicher, rauher. Das Leben zeigt sich von seiner endlichen und harten Seite. Bei Manchen steigt das Gefühl der Orientierungslosigkeit und des Bedrücktseins. Menschen spüren k?rperlich und seelisch – zum Leben braucht es Licht. Und zwar in vielerlei Hinsicht. In früheren Zeiten, vor der Erfindung der Elektrizit?t, mussten beispielsweise die Stunden des winterlichen Tageslichts intensiv genutzt werden, um die anstehende Arbeit rechtzeitig zu erledigen. Da war es gut, wenn die Tage nach der Wintersonnwende, dem dunkelsten Tag des Jahres, allm?hlich wieder l?nger wurden. Die Wintersonnwende markiert den Zeitpunkt des wachsenden Lichtes. Jetzt wird das Leben wieder einfacher. Die Zeit des Vergehens neigt sich dem Ende entgegen. Mit dem Licht kommt Stück für Stück das neue Wachsen und Erblühen der Natur. 

Vier Kerzen auf dem Adventskranz symbolisieren das wachsende Licht

Das westliche Christentum hat die Feier der Geburt Christi mit dem Datum der Wintersonnwende verbunden. Ein alter Hymnus besingt Christus als das ?aufgehende Licht aus der H?he“ (Lukas 1, 78). Von diesem Licht glauben Christen: Es erhellt das Dunkel, macht das Leben lichter und l?sst neues Leben wachsen. Um das zu symbolisieren, wurden und werden im Advent, der dunkelsten Zeit des Jahres, zahllose Lichter angezündet. Vor allem das 19. Jahrhundert war in der Erfindung von Licht-Br?uchen besonders produktiv. Damit betrat auch die winterliche Gemütlichkeitskultur die Bühne.

So symbolisieren die vier Kerzen auf dem Adventskranz das wachsende Licht – jede Woche wird eine weitere Kerze angezündet. Die Idee stammt vermutlich von Johann Hinrich Wichern, dem Begründer der Diakonie, der 1839 den Kindern im Rauhen Haus in Hamburg 1839 aus einem Wagenrand den wom?glich ersten Adventskranz bastelte. Am Weihnachtsabend werden dann im bürgerlichen Wohnzimmer die Lichter am Tannenbaum angezündet (oder angeschaltet) und im Idyll singt die Familie: 

 

Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen   

wie gl?nzt er festlich, lieb und mild.   

Als spr?ch’ er: wollt in mir erkennen  

Getreuer Hoffnung stilles Bild.  

Die Kinder stehn mit hellen Blicken, 

Das Auge lacht, es lacht das Herz;  

O fr?hlich’, seliges Entzücken!  

Die Alten schauen himmelw?rts.

 

In diesem Lied aus der Mitte des 19. Jahrhunderts wird die Geschichte der Geburt Christi überhaupt nicht mehr erw?hnt. Das Licht steht hier für die Stimmung am Abend, für die Familie, für erw?rmte Herzen, für die Liebe unter den Menschen, für Sehnsucht und Inszenierung. Ebenfalls im 19. Jahrhundert werden im Erzgebirge internationale Exportschlager erfunden – Drehpyramiden und Schwibb?gen, die l?ngst nicht nur die Darstellung der Geburt Christi mit dem Kerzenlicht verbinden, sondern auch moderne Weihnachtsakteure wie Renntiere, Nikol?use etc. 

Neben den Kerzen symbolisieren vor allem Sterne das Licht der Advents- und Weihnachtszeit. In der Herrnhuter Brüdergemeine, einer evangelischen Freikirche, entstehen im 19. Jahrhundert vielzackige Sterne, die bis heute zahllose Fenster erleuchten. Alle Sterne erinnern an den einen Stern, der nach dem biblischen Zeugnis den drei Weisen den Weg zur Krippe wies. Diese Geschichte pr?gt das Erscheinungsfest am 6. Januar, der Termin, an dem in orthodoxen Kirchen die Geburt Jesu gefeiert wird. 

Konsum und Event oder menschliche Sehnsucht?

An dieser Stelle kann man Einw?nde formulieren, die zwar berechtigt sind, aber auch ihre Grenzen haben: Erstens – ja: die unfassbar vielen Lichterketten, blinkenden Weihnachtsm?nner, kurz: die winterliche Totalbeleuchtung schlie?en zwar an diese Symbolik an, in Teilen überdehnen sie diese aber auch. Sie stammen überwiegend aus dem angels?chsisch-amerikanischen Bereich und sind vielf?ltig mit Vorstellungen von Konsum und Event verbunden. Dass sie sich einer so gro?en Beliebtheit erfreuen, zeigt aber, dass sie eine menschliche Sehnsucht aufrufen. Und zweitens – ja: in vielen L?ndern des globalen Südens findet Weihnachten im Sommer statt. Das Problem der Dunkelheit ist hier lebensweltlich nicht so pr?sent wie im winterlichen Norden. Viele Traditionen sind kulturell gepr?gt, sind westliche Erfindungen. Dennoch sieht sich die weltweite, ?kumenische Christenheit, bei allen auch schwerwiegenden Differenzen, verbunden in dem Glauben an Christus als dem ?Licht der Welt“ (Johannes 8,12), der in die Welt gekommen sei, um diese zu erhellen.

So verbindet sich mit dem Advents- und Weihnachtslicht jahreszeitlich, pers?nlich und gesellschaftlich-politisch die Hoffnung auf eine Zeitenwende und die Hoffnung, dass das Dunkle und Hoffnungslose, wenigstens für ein paar Stunden, gebannt wird, dass verdunkelte Seelen erhellt und verh?rtete Gemüter erleuchtet werden.

Autorin: Ruth Conrad, Professorin für Praktische Theologie mit Schwerpunkt Homiletik, Liturgik und Kirchentheorie