Paulusrezeptionen im frühen Christentum: Von den Anf?ngen bis zu Iren?us
Auf einen Blick
Fritz Thyssen Stiftung
Projektbeschreibung
Die Tagung zu Paulusrezeptionen im frühen Christentum knüpft an die neuere Diskussion über Entwicklungen im Christentum der ersten drei Jahrhunderte an. Charakteristisch hierfür sind die konsequente Einbeziehung kanonischer und nicht-kanonischer Texte in eine Geschichte des frühen Christentums (exemplarisch genannt seien die diversen Arbeiten von Tobias Nicklas zu apokryphen Texten des frühen Christentums), die Beachtung sozialer Formierungen frühchristlicher Gemeinden im Gegenüber zu Synagogengemeinden und paganen Vereinen (vgl die diversen Arbeiten zu Associations in der griechisch-r?mischen Welt von John Kloppenborg) sowie der konsequente Blick auf Lebensformen und Alltagsfr?mmigkeit der frühen Christen (vgl. dazu vor allem die Darstellung der Geschichte des antiken Christentums von Christoph Markschies sowie zahlreiche weitere Arbeiten des Autors zu dieser Thematik). Die Geschichte des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten stellt sich dadurch als eine Vielfalt von Entwicklungen dar, die nicht selten quer zur sp?teren Unterscheidung von ?kanonischen“ und ?apokryphen“ Schriften liegen. In organisatorischer Hinsicht entspricht dem eine Pluralit?t von Gemeinschaften, in der sich erst allm?hlich eine Unterscheidung von ?Mehrheitskirche“ und Randgruppen herausbildet. Die Rezeption von Person und Wirken des Paulus sowie die Stellung von Gemeinden, die sich auf seine Person und sein Wirken beziehen, sind innerhalb dieses Spektrums zu betrachten. Person und Wirken des Paulus spielen für die Entwicklungen im frühen Christentum eine grundlegende Rolle. Das wird bereits an der Rezeption seiner Theologie in den ins Neue Testament gelangten Briefen deutlich, die in seinem Namen verfasst wurden. Zudem wurde bereits früh damit begonnen, die Briefe des Paulus, gemeinsam mit weiteren unter seinem Namen verfassten Schriften, zu sammeln. Das Corpus Paulinum bildet damit einen grundlegenden Bestandteil des sp?teren Neuen Testaments. Wesentliche Entwicklungen im frühen Christentum sind mit Person und Wirken des Paulus verbunden. Dazu geh?ren neben den an Paulus anknüpfenden, seine Theologie und Wirksamkeit fortschreibenden Schriften, wie etwa die Apostelgeschichte, die Paulusakten oder Iren?us, auch solche Schriften, die sich im Umfeld der paulinischen Theologie bewegen, wie etwa der Hebr?erbrief und der 1. Klemensbrief, solche, die sich kritisch mit den Wirkungen paulinischer Theologie im frühen Christentum auseinandersetzen, wie etwa die Johannesoffenbarung und der Jakobusbrief, und schlie?lich solche, die sich auf Paulus beziehen, um dadurch eigene Formen christlicher Theologie zu entwickeln, wie Markion, die Paulusapokalypsen und die valentinianischen Schriften. Dieser knappe ?berblick zeigt bereits, dass die verschiedenen Anknüpfungen an Paulus bzw. die Auseinandersetzungen mit seiner Theologie für die Geschichte des frühen Christentums von grundlegender Bedeutung sind. Dies betrifft nicht zuletzt das Verh?ltnis des frühen Christentums zu jüdischen Traditionen und damit auch das religi?se Leben frühchristlicher Gemeinden. Im Blick auf die diversen Anknüpfungen an Paulus im frühen Christentum sind in der neueren Forschung verschiedene Aspekte geltend gemacht worden, die es sinnvoll und lohnend erscheinen lassen, die Rezeptionen seines Wirkens und seiner Theologie zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Tagung zu machen, die damit einen substantiellen Beitrag zur Erforschung des frühen Christentums leisten wird. Hierzu geh?ren u.a.: ? die verschiedenen, mitunter voneinander unabh?ngigen Formen der Paulusrezeption ? die neuere Diskussion über Autobiographie und Biographie des Paulus ? neuere Aspekte hinsichtlich der sogenannten ?Paulusschule“ ? die neuere Diskussion über das Paulusbild der Apg und der Paulusakten ? die Forschungen zum politischen, sozialen und religi?sen Kontext des Mittelmeerraums als dem Wirkungsraum des Paulus und Entstehungsgebiet der paulinischen Gemeinden ? soziologische Analysen der frühen christlichen Gemeinden im Kontext der Erforschung antiker Vereine ? die neuere Diskussion über die Beziehungen von Paulus bzw. dem Paulinismus zum Judentum ? neuere Forschungen zu Markion und seiner Paulusdeutung bzw. seiner Sammlung der Paulusbriefe ? Paulus im Valentinianismus ? die Rezeption des Paulus in der apokalyptischen Tradition des frühen Christentums ? die Diskussion über die Auferstehung der Toten in Anknüpfung an Paulus in kanonischen und nicht-kanonischen Texten des 2. Jahrhunderts Die Tagung widmet sich diesen und weiteren Feldern der Bedeutung des Paulus im frühen Christentum. Ausgangspunkt ist dabei die auf den genannten Aspekten basierende Feststellung, dass die Auseinandersetzung mit Wirken und Theologie des Paulus zu den zentralen Kennzeichen des frühen Christentums geh?rt. Bereits in frühester Zeit finden sich Reaktionen auf Paulus. Dazu geh?ren sowohl Bezugnahmen auf sein pers?nliches Auftreten als auch auf seine Interpretation des Christusgeschehens. Erste Spuren hiervon finden sich in den Briefen des Paulus selbst, in denen er auf kritische Einw?nde gegen seine Theologie und sein Wirken in den Gemeinden eingeht und diesen ein Selbstbild seiner Person und seines apostolischen Wirkens entgegenstellt. Weitere ins Neue Testament gelangte Schriften belegen die zentrale Bedeutung, die die Anknüpfung an und die Auseinandersetzung mit Person, literarischem Werk und Theologie des Paulus für die Entstehung der christlichen Theologie besitzen. Die deuteropaulinischen Briefe schreiben die Theologie des Paulus in ver?nderten historischen Konstellationen fort. Die Apostelgeschichte ordnet das Wirken des Paulus in einen geschichtstheologischen Entwurf ein, der auf dem Wirken Jesu basiert, das durch die Jerusalemer Apostel und die ?Hellenisten“ fortgesetzt wird. In dieser Linie steht auch Paulus, der die Christusbotschaft in die Regionen Kleinasiens und Griechenlands bringt und schlie?lich bis nach Rom gelangt. Die neuere Forschung hat dabei herausgestellt, dass Lukas ein Bild des Paulus entwirft, das sich der Kenntnis seiner Person und seines Wirken verdankt und sie in eigener Weise zur Geltung bringt. In diesen Schriften deutet sich an, was die Auseinandersetzung über die paulinische Theologie auch im 2. Jahrhundert kennzeichnen wird: Mit der Ausrichtung der Christusbotschaft über die Grenzen Israels und des Judentums hinaus entsteht zugleich die Frage nach der Bedeutung jüdischer Traditionen im christlichen Glauben sowie nach dem Verh?ltnis von Israel und Kirche. Beides wird die Diskussion über die Rezeption des Paulus im zweiten Jahrhundert und darüber hinaus ma?geblich bestimmen. Diese Thematik k?nnte sich auch in weiteren neutestamentlichen Texten andeuten. Schriften wie der Jakobusbrief, das Matth?usevangelium oder die Offenbarung des Johannes setzen erkennbar andere Akzente als die Paulusbriefe und die in seinem Namen verfassten Briefe. M?glicherweise setzt sich darin die Kontroverse über die Rolle des Paulus und seiner Theologie im Christentum fort, die sich bereits in den echten Paulusbriefen abzeichnet. Im 2. Jahrhundert finden sich weitere Anknüpfungen an Paulus: Ignatius knüpft an die Konzeption der paulinischen Gemeindebriefe an und rekurriert verschiedentlich auf Topoi der paulinischen Theologie. Der 1. Klemensbrief bezieht sich auf die Autorit?t des Paulus und verwendet h?ufig 金贝棋牌 und Wendungen aus Paulusbriefen. Der Rheginusbrief und das Philippusevangelium knüpfen an die paulinische Lehre von der Auferstehung der Toten an und setzen sich mit dieser auseinander. Unter den valentinianischen Schriften finden sich des weiteren Texte wie das ?Gebet des Paulus“ und die Paulusapokalypse, die die Person des Paulus für die valentinianische Auspr?gung des Christentums (sog. ?valentinianische Gnosis“) fruchtbar machen. Die Wirksamkeit des Paulus hat nicht nur literarische, sondern auch soziologische Facetten. Die Gemeinden im Einflussbereich des Paulus standen vor der Herausforderung, sich im griechisch-r?mischen Kontext als Gruppen zu behaupten, die nicht zum Judentum geh?rten, aber auch keine paganen ?Vereine“ waren. Dazu mussten sie in religi?ser Hinsicht, aber auch unter den jeweiligen politischen und sozialen Gegebenheiten, ein Profil ausbilden, durch das sie als Gemeinschaften identifizierbar waren, die in Anknüpfung an Wirken und Theologie das Paulus das Bekenntnis zu Jesus Christus zur Geltung brachten. Die Anknüpfung an Person und Theologie des Paulus steht sodann in engem Zusammenhang mit der Herausbildung des neutestamentlichen Kanons. Bereits am Ende des 1. Jahrhunderts entstehen erste Sammlungen der Paulusbriefe, etwas sp?ter wird Markion eine Paulusbriefsammlung zusammenstellen, die für die Frage nach der Geltung der Paulusbriefe in der entstehenden Kirche katalysierende Wirkung entfaltete. Bei Iren?us l?sst sich dann erkennen, dass die Paulusbriefe gemeinsam mit den Evangelien und der Apostelgeschichte als für das Christuszeugnis der Kirche grundlegender Bestandteil betrachtet werden.