"Eine unzumutbare Gewissensverwirrung". Die sozialen und emotionalen Folgen von Humanae Vitae: Protestrituale, sakramentale Erfahrungen und K?rperpraktiken"

Auf einen Blick

Laufzeit
10/2020  – 04/2024
DFG-Fachsystematik

Katholische Theologie

Geistes- und Sozialwissenschaften

F?rderung durch

DFG Forschungsgruppe DFG Forschungsgruppe

Projektbeschreibung

Die Enzyklika Humanae Vitae vom 25. Juli 1968, die den Katholiken den Gebrauch künstlicher Empf?ngnisverhütungsmittel verbot, stellt ein zentrales Ereignis der modernen Kirchengeschichte dar. Die Entscheidung Papst Pauls VI., die Legitimit?t der ehelichen Sexualit?t an die M?glichkeit einer Schwangerschaft zu koppeln, l?ste bei Klerus und Gl?ubigen in der Bundesrepublik gro?e Emotionen aus: Reagierten einige wenige euphorisch, war doch die Mehrheit schwer entt?uscht. Das Projekt untersucht diese Reaktionen auf Humanae Vitae und ihre Folgen mit einem emotionshistorischen und ritualtheoretischen Ansatz vor allem für die 1970er Jahre. Entstanden mit und durch Humanae Vitae innerhalb des westdeutschen Katholizismus ?emotionale Gemeinschaften“ (Barbara Rosenwein), die bis heute Gruppen und Positionen pr?gen? Das Projekt stellt erstens Rituale des Protests in den Mittelpunkt, die sich im Sommer 1968 vor allem in zahlreichen Schreiben an die Bisch?fe und auf dem Essener Katholikentag ?u?erten. Dabei soll nach dem Verh?ltnis zwischen den ?katholischen“ Protesten und den Formen des au?erparlamentarischen Protests von 1968 generell gefragt werden. Aus den vielf?ltigen Reaktionen kann zweitens auf eine Rückwirkung auf die sakramentale Praxis geschlossen werden. So wird untersucht, welche Folgen die Enzyklika für die ohnehin in die Krise geratene Beichtpraxis und die Verknüpfung von Beichte und Eucharistie hatte. Gelangte das ?emotionale Regime“ (William Reddy) des Klerus, das die Deutungshoheit über das Intimleben der Gl?ubigen beanspruchte, hier in eine nicht wieder einzuhegende Krise und wurde dadurch – ganz entgegen der Intention der Enzyklika – die Individualisierung und Pluralisierung gelebten Glaubens noch bef?rdert? Drittens geht es um die Folgen für die Paarbeziehungen und den Ehealltag. Inwiefern ver?nderte sich jetzt die bundesweit organisierte katholische Eheberatung, deren Ausrichtung vor Humanae vitae von der Empathie für Frauen gepr?gt war, die unter der Angst vor zahlreichen Schwangerschaften litten? Das Projekt zieht unver?ffentlichtes Archivmaterial (Korrespondenz von Bisch?fen und Priestern mit Gemeindemitgliedern, Positionsbestimmungen von Klerikern, Pfarrgemeinder?ten, Hochschullehrern, Unterlagen von Eheberatungsstellen), katholische Publikationen (auch Pfarr- und Bistumsbl?tter) sowie Interviews mit Zeitzeugen als Quellen heran.
Das Projekt soll zeigen, inwiefern sich der für die 1970er Jahre der Bundesrepublik allgemein angenommene Strukturbruch auch im Katholizismus spiegelte, bzw. welche eigenen, wom?glich abweichenden Dynamiken hier beobachtet werden k?nnen und welche Interdependenzen sich mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen ergab