Kulturwechsel in der Wissenschaftskommunikation

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Open Humboldt
Vom gegenseitigen Wissensaustausch profitieren beide Seiten – die Gesellschaft und die Forschung. Diese Meinung vertritt der Sozialwissenschaftler Prof. i.R. Dr. Stefan Hornbostel.

Prof. i.R. Dr. Stefan Hornbostel ist Sozialwissenschaftler, Wissenschaftsforscher und leitete viele Jahre das Institut für Forschungsinformation und Qualit?tssicherung und hatte an der Humboldt-Universit?t zu Berlin eine Professur für Wissenschaftsforschung. Seit 2020 ist er Vorstand des Open Humboldt Expert:innenkreises, der die Initiative Open Humbldt beratend unterstützt. Er betont: Vom gegenseitigen Wissensaustausch profitieren beide Seiten – die Gesellschaft und die Forschung.

Herr Hornbostel, Open Humboldt ist eine Initiative der Humboldt-Universit?t, die 2020 entstanden ist. Welche Ziele verfolgt dieses Format?

Bereits seit 20 Jahren gibt es immer wieder Versuche, Wissenschaft in die Bev?lkerung hinein zu kommunizieren. Das war vor allem als eine einseitige Kommunikation gedacht, die den Menschen erkl?ren sollte, was Wissenschaft denn alles so Tolles macht. Mit Open Humboldt wurde eine ganz andere Idee aufgenommen: Wissenschaftskommunikation sollte mehr dialogorientiert sein und auf einen gegenseitigen Austausch setzen. Denn Wissenschaft selbst ist auch auf den 金贝棋牌 mit der Gesellschaft angewiesen und profitiert davon – in mehrfacher Hinsicht. Deshalb hat sich die Humboldt-Universit?t mit Open Humboldt auf den Weg gemacht, diesen Austausch zwischen Universit?t und Gesellschaft zu st?rken und dafür geeignete Formate und Plattformen zu entwickeln.

Tats?chlich galt lange: Wissensproduzent*innen sitzen in den Universit?ten und Forschungseinrichtungen, Wissenskonsument*innen au?erhalb. Hier findet ein Umdenken in der Wissenschaft statt, die die vielf?ltigen Wissensquellen und Perspektiven aus der Gesellschaft heute anerkennt und für wichtige Forschungsfragen nutzt. Wie genau profitieren Forschung und Gesellschaft davon?

Der Austausch ist wichtig, um überhaupt erst einmal zu verstehen, was die Menschen au?erhalb der Wissenschaft eigentlich umtreibt. Welche gravierenden Probleme gibt es in der Gesellschaft und wie ?u?ern sie sich? Kann man diese Probleme und die damit verbundenen Fragen wissenschaftlich bearbeiten? Das ist ein ?bersetzungsprozess, der eng mit der Idee Open Humboldt verbunden ist und der notwendig ist, um viele hochkomplexe Probleme und Herausforderungen unserer Zeit wie etwa den Klimawandel, Pandemien oder neue Technologien mit wissenschaftlichen Methoden zu bearbeiten. Es geht letztlich darum, Wissen für Menschen zu schaffen. Dafür braucht es eine Vertrauensbasis und Kommunikationskan?le.

Viele Teile von Wissenschaft funktionieren heute nicht mehr ohne Kommunikation und Kooperationen zwischen dem akademischen Bereich und au?erwissenschaftlichen Akteuren. Das konnte man in vielen Facetten w?hrend der Corona-Pandemie gut beobachten. Dabei ist Wissenschaft kein homogener Block, sondern besteht aus vielen unterschiedlichen, sich teilweise widersprechenden Thesen und disziplin?ren Konzepten.
Wissenschaft ist nie endgültig, was h?ufig schwer zu vermitteln ist. In der Pandemie wurde Wissenschaft zum Teil als b?sartig wahrgenommen, was wiederum zu pseudowissenschaftlichen, kruden Thesen führte. Wir k?nnen im Nachgang aber auch sehen, dass Probleme von der Wissenschaft unzureichend wahrgenommen wurden. Viele Entscheidungen zu 金贝棋牌sperren, Schulschlie?ungen oder dem Umgang mit Menschen in Altenheimen werden heute kritischer betrachtet. Dieses Beispiel zeigt, dass der Kommunikationsprozess von unten in die Wissenschaft hinein nicht gut funktioniert hat und umgekehrt die Rezeptions- und Reaktionsf?higkeit der Wissenschaft nur partiell funktioniert hat. Das ist der Grund dafür, warum wir neue, andere und vielf?ltigere Formate der Wissenschaftskommunikation brauchen und suchen.

Um solche Formate zu entwickeln, unterstützt das F?rderprogramm Open Humboldt Freir?ume bereits ganz konkret Forschende der HU, die Projekte für den Wissensaustausch und den Dialog mit der Gesellschaft ansto?en und umsetzen wollen. Wie bringt dieses F?rderprogramm die übergeordneten Ziele von Open Humboldt voran?

Die F?rderlinie soll Professor:innen, habilitierten wissenschaftlichen Mitarbeitenden und Postdocs die M?glichkeit geben, sechs Monate lang von ihren Lehrverpflichtungen befreit zu werden, um Projekte vorzubereiten und durchzuführen, die genau den beschriebenen Zielen dienen. Es geht dabei nicht um klassische akademische Forschung, sondern um Projekte, die einen Anwendungsbezug haben oder dialogische Formate ausprobieren, um sich mit bestimmten Zielgruppen auszutauschen und zu vernetzen. In den letzten Jahren haben wir gesehen, dass es dem akademischen Personal sehr schwerf?llt, auf solche Formate einzugehen. Es gibt eine sehr festsitzende Vorstellung davon, wie Forschung funktionieren muss, die nahezu immer mit einem Projektantrag startet und in einer wissenschaftlichen Publikation mündet. Wir streben also mit der Idee einer neuen Wissenschaftskommunikation einen Kulturwechsel an. ?ber die F?rderung durch Open Humboldt Freir?ume setzen wir einen Anreiz für Forschende, sich an neue Formate heranzutasten und sie auszuprobieren. Dabei gilt es auch immer selbstkritisch nach der Eignung des F?rderformats zu fragen, denn die Ingenieur-, Lebens- und Naturwissenschaften sind bisher noch unterrepr?sentiert.

Was zeichnet ein erfolgreiches Forschungsprojekt aus, das Wissensaustausch mit der Gesellschaft wirklich ernst nimmt?

Ich hatte das Glück, mit einer damals noch recht neuen, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gef?rderten Initiative – dem Institut für Wissenschaftsforschung – im Jahr 2005 hier an die Humboldt-Universit?t zu kommen. Der Bereich der Wissenschaftsforschung war in Deutschland im Gegensatz zu anderen L?ndern wie etwa den USA oder Gro?britannien nicht so weit entwickelt. Zu diesem Bereich geh?rte auch damals schon die Frage, wie Wissenschaft in ein Austauschverh?ltnis mit der Gesellschaft gehen kann. Das Thema begleitet mich also schon sehr lange und ich habe im Lauf meines Berufslebens dafür auch eine gewisse Leidenschaft entwickelt. Austauschprozesse zwischen Wissenschaft und Gesellschaft sind kompliziert, da beide jeweils auf ganz unterschiedliche Art kommunizieren. Es ist ein relativ komplexer ?bersetzungsprozess n?tig, mit leider auch vielen M?glichkeiten für Missverst?ndnisse. Man muss beide Seiten gut verstehen, um hier erfolgreich zu sein und zu neuen Ideen und Modellen zu kommen. Die Humboldt-Universit?t ist da auf einem guten Weg, r?umt diesem Thema nach wie vor einen hohen Stellenwert ein und entwickelt es weiter.

Wie kann man diesen gegenseitigen Austausch weiter f?rdern und auch Menschen gewinnen, die wenig Berührungspunkte mit Wissenschaft haben?

Darauf habe ich keine abschlie?ende Antwort. Ich denke es macht Sinn, mit vielen unterschiedlichen Formaten zu experimentieren und Bereiche wie Kunst und Theater mit einzubeziehen. M?glicherweise k?nnen auch virtuelle Instrumente, die bisher vor allem im Gaming-Bereich bekannt sind, Menschen ansprechen, die bisher keine Berührung mit der Wissenschaft hatten. Da ist sicherlich eine Menge m?glich und auch eine Menge Fantasie gefragt. Ganz klar ist jedenfalls, dass man nicht an klassischen Formaten wie Vortr?gen oder Publikationen kleben bleiben sollte.

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