SFB 640 I: Ceremonial Pedagogy (TP A 4)

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07/2004  – 12/2013
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Description

Es gibt Ausnahmesituationen in der Geschichte der V?lker und Nationen, in denen revolution?re Programme zur radikalen Neugestaltung von Staat und Gesellschaft nicht nur abstrakt verordnet, sondern zugleich durch sinnf?llige Symbolisierung, ?ffentliche Visualisierung oder zeremonielle Inszenierung allgemein zu Bewusstsein gebracht "repr?sentiert" werden.

Solche Formen "Zeremonieller P?dagogik" finden sich typischerweise im Kontext tiefgreifender sozialrevolution?rer Umstürze (von "Revolutionen" im Sinne von Skocpol); sie finden sich nicht minder aber auch in den radikalen Modernisierungsschüben, welche als Revolutionen von oben von den politischen Eliten vorwiegend agrarischer Gesellschaften ins Werk gesetzt wurden.

Eben solche Konstellationen von "Zeremonieller P?dagogik" in Umbruchssituationen sind Gegenstand dieses Projekts. Als fruchtbare Vergleichseinheiten dienen, wie schon in der ersten F?rderperiode, Japan, Russland und Mexiko. In allen drei F?llen konzentriert sich das Projekt auf nur wenige Jahrzehnte krisenhaften Umbruchs in der zweiten H?lfte des 19. Jahrhunderts: auf die als Meiji-"Revolution" bezeichnete radikale Umgestaltung Japans seit den 1860er Jahren; auf die "Gro?en Reformen" im zarischen Russland zwischen 1860 und 1890; auf die Phase des so genannten "Zweiten Liberalismus" in Mexiko zwischen etwa 1855 und 1876.

In allen drei Kontexten zielte der Einsatz "?sthetischer" also, im ursprünglichen Sinne des Wortes, sinnlich erfahrbarer Repr?sentationsformen darauf ab, die kontrafaktisch gegen vormoderne Strukturen gerichteten Neuordnungs-Entwürfe sowie die Ideen und Mythen, die solche Entwürfe und ihre Durchsetzung legitimierten, massenwirksam zu vermitteln und sozialisatorisch zu verankern. Gegenüber den charakteristischen Best?nden der Tradition st?ndischer Hierarchisierung, regionaler Fragmentierung, korporativer Privilegierung oder autoritativer Wissensbewahrung galt es, die ebenso neuartigen wie fremden Muster kultureller Homogenisierung, nationaler Integration, rechtlicher Gleichstellung und rationaler Wissenserzeugung als unhintergehbare Schritte auf dem Weg zu einer an europ?ischen Vorbildern wahrgenommenen Moderne darzustellen.

Aber nicht allein um Darstellung ging es dabei. Vielmehr zielte der Einsatz ?sthetischer und prozeduraler Repr?sentationsformen darauf ab, breiteste Bev?lkerungsschichten kraft emotionaler ?berw?ltigung und bewusstseinsformender Beeindruckung auf die neuen Ordnungsmuster so zu verpflichten, dass durch das überzeugte Handeln der Vielen die politisch antizipierte neue Gesellschaftsordnung sich auch herstellen lie?.

Dass dabei die Begegnung zwischen den abstrakten Entwürfen st?dtisch-aufgekl?rter Eliten mit den von Tradition, Religion und Gewohnheit gepr?gten Vorstellungen der b?uerlichen und gro?enteils illiteraten Bev?lkerung konflikthaft verlief, versteht sich von selbst. Die Aufmerksamkeit der Projektmitarbeiter gilt mithin ebenso sehr den Umbruchsituationen auf der Ebene makrosozialer Transformationen und Politiken wie (um mit Huntington zu sprechen) dem "clash of representations" auf der Ebene der handelnden und erlebenden Akteure.