Cotton Republic Tadzhikistan? Central Planning and local Society, 1946-1991

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Run time
06/2011  – 03/2015
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Description

Ziel des Projektes ist es, die allt?gliche Funktionsweise der sowjetischen Planwirtschaft anhand eines lokalen Beispiels aus der südlichen Peripherie der Sowjetunion zu untersuchen. Das Projekt will durch lebensgeschichtliche Interviews die Biographien von Mitarbeitern sowjetischer Landwirtschaftsbetriebe in Tadschikistan nachzeichnen und sie mit regionalen und überregionalen Archivdokumenten abgleichen. So sollen in einer umfassenden Mikrostudie die wirtschaftlichen Aktivit?ten der Landbev?lkerung dicht beschrieben werden. In den Agrarbetrieben Tadschikistans arbeiteten Angeh?rige unterschiedlicher ethnischer und regionaler Herkunft zusammen, da der sowjetische Staat zur Forderung des Baumwollanbaus Menschen aus allen Teilen Tadschikistans und aus anderen Regionen der Sowjetunion in die tadschikischen Baumwollplantagen umsiedelte. Dabei - so lautet die Ausgangshypothese des Projekts - setzten die verschiedenen Herkunftsgruppen an ihrem neuen Wohnort einerseits traditionell bew?hrte Wirtschaftspraktiken fort (wie etwa die Produktion von Trockenfrüchten und die Seidenraupenzucht) oder sie besetzten neuentstehende wirtschaftliche Nischen (beispielsweise den Handel mit Zitrusfrüchten), um den Zw?ngen des staatlich verordneten Baumwollanbaus zu entgehen.

Dem sowjetischen Staat gelang es auch langfristig nicht, die Bauern Tadschikistans vollst?ndig in die zentral geplante Baumwollwirtschaft einzubinden. T?tigkeiten, denen die Bauern im offiziellen Privatsektor oder in der Schattenwirtschaft nachgingen, waren oft eintr?glicher als die Arbeit in der Baumwollproduktion der staatlichen Landwirtschaftsbetriebe. Auch waren die relativ guten Verdienstm?glichkeiten im halboffiziellen und inoffiziellen Agrarsektor eine der wichtigsten Ursachen dafür, dass die einheimische l?ndliche Bev?lkerung nicht in die Industriebetriebe oder die St?dte abwanderte. Zum wirtschaftlichen Erfolg der Zitronenh?ndler, der Aprikosenbauern und der Pfirsichg?rtner trugen lokale und famili?re Solidargemeinschaften wesentlich bei. Selbst Verwandte und Angeh?rige der Bauern, die im Staats- und Parteiapparat arbeiteten, unterstützten und protegierten die halblegalen und illegalen Aktivit?ten von Mitgliedern ihrer Herkunftsgruppe. Alltagspraktiken, die im wirtschaftlichen Interesse einer bestimmten Solidargemeinschaft waren, gingen dabei oftmals zu Lasten des staatlichen Baumwollsektors. Die Bauern nutzten die für den Baumwollanbau bestimmten Ressourcen wie Boden, Wasser und Düngemittel für die Zwecke ihrer Solidargemeinschaft. Das Projekt will die Ursachen und Folgen dieser Entwicklung seit dem Ende des zweiten Weltkriegs beschreiben und analysieren.

Die eigensinnigen Wirtschaftsformen und Alltagspraktiken der lokalen Bev?lkerung k?nnen erst verst?ndlich werden, wenn man sie als Ergebnisse eines kontinuierlichen Prozesses der Weltdeutung und Weltaneignung lokaler Bev?lkerungsgruppen mit der langlebigen Tradition heterogener l?ndlicher Solidargemeinschatten verortet. Gleichzeitig aber fanden die Bauern Mittel und Wege, mit der planm??ig organisierten Arbeit in den sowjetischen Agrarbetrieben vertraut zu werden. Das Projekt fragt darum: Welchen Sinn gaben die Bauern Tadschikistans ihrem "sozialistischen" Alltag? Hielten sie an bew?hrten Wirtschaftspraktiken fest, weil sie meinten, sich nach der Umsiedlung am neuen Wohnort von konkurrierenden Gruppen unterscheiden zu müssen? Warum machten alternative T?tigkeiten scheinbar mehr Sinn als die Besch?ftigung in der zentralstaatlich organisierten Baumwollproduktion? Schlie?lich stellt sich die Frage, ob die Züchter von Seidenraupen, die Zitronenh?ndler oder die Pfirsichg?rtner langfristig zu den wirtschaftlichen Gewinnern oder Verlierern der Baumwollrepublik Tadschikistan geh?rten.