Rede anl?sslich der Lesung aus "Das Wochenende" von Bernhard Schlink
11. Juni 2008
?Abschied von der Dogmatik“. Solche Titel, lieber Herr Schlink, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollten den Theologen im Pr?sidentenamte interessieren. Was der Ordinarius für ?ffentliches Recht und Rechtsphilosophie über ?Verfassungsrechtsprechung und Verfassungsrechtswissenschaft im Wandel“ zu sagen hat, sollte mich neugierig machen – und doch, und ach, natürlich ist es anders. Und zutiefst schwierig mit der Neugier. Als ich im Jahre 2000 nach Heidelberg in die Z?hringer Stra?e zog, habe ich, wie so viele unter uns, einen bekannten Roman gelesen und wie so manche zu entschlüsseln versucht, welche geheimen F?den wohl den Haushalt des Philosophieprofessors in der Blumenstra?e aus dem n?mlichen Roman mit dem des Theologieprofessors Edmund Schlink in der Blumenstra?e verbinden m?gen, denn mancher Satz im berühmten Buch gilt ja wohl nicht nur für die Kunstfiguren aus der Heidelberger Weststadt, sondern irgendwie auch für das reale Personal der Blumenstra?e und dann doch wieder nicht: ?Er war Professor für Philosophie, und Denken war sein Leben, Denken und Lesen und Schreiben und Lehren“.
?Er ist Professor für Rechtsphilosophie, und Denken war sein Leben,
Denken und Lesen und Schreiben und Lehren“. Wenn der Historiker die
Analyse sistiert und zum Anekdotenerz?hler wird, wenn in der
Geschichtswissenschaft der Boulevard dominiert – ja dann, meine Damen
und Herren, ist es wieder Zeit, Par?miologie zu treiben und an den Satz
zu erinnern: … but silence is golden. ?Für die meisten von uns war die
Vergangenheit des Dritten Reiches und des Holocaust pr?gend. Sie stand
im Zentrum unserer Auseinandersetzung mit den Eltern und unserer
Absetzung von ihnen; unter ihrem Schatten gewann unser Bild der
deutschen Geschichte seine Gestalt“, schreibt Bernhard Schlink in einem
Essay unter dem Titel ?Auf dem Eis“, ich h?tte aber auch aus dem
Essayband ?Vergewisserungen. ?ber Politik, Recht, Schreiben und
Glauben“ zitieren k?nnen. Wenn der ?Vorleser“ und das ?Wochenende“ so
kontextualisiert werden und nicht einfach Heidelberg Weststadtboulevard
betrieben wird, auch wenn es so nahe liegt, dann dient Lektüre von
Schlinks Ver?ffentlichungen zugleich der Selbstvergewisserung der
deutschen Universit?t – vierzig Jahre nach 1968, vierzig Jahre nach dem
eruptiven Ausbruch jener vielen Auseinandersetzungen mit den Eltern und
jener teils ?u?erst gewaltt?tigen Absetzungen von ihnen. ?In richtig
funktionierenden Institutionen versteht sich das Moralische von
selbst“, lautet eine der Lehren, die Schlink aus der Gegenwart der
Vergangenheit zieht und man kann diesen Satz nicht nur kritisch auf den
Staat, die ganze Gesellschaft anwenden, sondern natürlich auch auf eine
Universit?t, auf diese Universit?t im Vorfeld ihres zweihundertj?hrigen
Jubil?ums. Als wir im Jahre 2000 nach Heidelberg zogen, wurde meine
Frau alsbald in das Kr?nzchen der Professorengattinnen eingeladen; Herr
Kollege Schlink wei?, wer damals noch die ungekr?nte K?nigin dieses
Kr?nzchens war und wer damals noch in der Heidelberger
Universit?tskirche immer vorn rechts, direkt unter der Kanzel sa?.
Diese Welt ist vergangen, gesprengte Universit?tskirchen lassen sich
nicht rekonstruieren und die Professorinnengatten wollen keine
Kr?nzchen mehr besuchen. Aber die um ihre Gestalt ringende deutsche
Universit?t mu? ihre Geschichte, allzumal im schrecklichen zwanzigsten
Jahrhundert kennen, die Geschichte zwischen dem Vorleser und dem
Wochenende, um nicht nur zu repetieren.
Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t