Humboldt-Universit?t zu Berlin

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Begrü?ung des estnischen Staatspr?sidenten Toomas Hendrik Ilves

Gru?wort am 23. Oktober 2008

Ein Psychologe und vormaliger Direktor eines Kunstmuseums als Staatspr?sident - ich bin mir nicht sicher, ob das Platon gefallen h?tte, der bekanntlich nur die Philosophen im obersten Amt der Staatslenkung sehen wollte. Und wahrscheinlich auch nicht Adolf von Harnack, unserem gro?en Kirchenhistoriker aus Dorpat, dem Gründer der heutigen Max-Planck-Gesellschaft und Direktor der preu?ischen Staatsbibliothek. Harnack liebte Nietzsche, Freud und die klassischeren psychologischen Autoren der Jahrhundertwende las er offenbar gar nicht, in der Sezession Max Liebermanns kann ich ihn mir schlecht vorstellen. Aber unseren beiden Namenspatronen, Wilhelm und Alexander von Humboldt, h?tte das gefallen und ganz besonders dem Theologen Friedrich Schleiermacher, auf den wesentliche Grundideen der Universit?tsgründung von 1810 zurückgehen, die Wilhelm von Humboldt in kluge, kurze Ministerialgutachten go?. Viermal hat Schleiermacher hier Psychologie gelesen: 1818, 1822, 1830 sowie zuletzt 1833/1834; ob freilich seine für damalige Zeit ziemlich liberalen Ansichten über die Geschlechterdifferenz heute noch irgendwen - und dann gar einen bemerkenswerten wie bedeutsamen Politiker, wie wir ihn heute zu Gast haben - hinter dem Ofen hervorlocken, ist einerseits natürlich fraglich, wenn auch bei einem so gebildeten homme de lettres wie unserem heutigen Gast andererseits durchaus m?glich.

Homme de lettres und Politiker - es ist vielleicht eine besondere Chance der politischen Umw?lzungen am Ende des vergangenen Jahrhunderts - in den baltischen Staaten wie bei uns hier in Deutschland, da? Menschen ohne eine lange parteipolitische Karriere, Pfarrer, Professoren, Journalisten, pl?tzlich in politische Verantwortung gerufen wurden, Minister und - jedenfalls in Estland - auch Staatspr?sidenten wurden. Das, verehrter Herr Staatspr?sident, lieber Herr Ilves, verbindet unsere beiden L?nder: Wir haben nicht nur das kostbare Geschenk einer staatlichen Autonomie nach langer Besetzung, die Freiheit von den auf unserem Gebiet stationierten russischen Truppen, geschenkt bekommen, nein, wir haben mit diesem Geschenk auch das Geschenk einer politischen Klasse empfangen, die auf ganz andere Erfahrungen als nur die berühmt-berüchtigten verqualmten Hinterzimmer der Parteien zurückgreifen kann und auf diese Weise den politischen Proze? seit zwanzig Jahren in beeindruckender Weise bereichert und vorantreibt.

Wir haben, so scheint mir, verehrter Herr Staatspr?sident, eine lange, an H?hepunkten reiche gemeinsame Geschichte - den Namen Adolf von Harnacks, meines Lehrstuhlvorg?ngers habe ich genannt, andere w?ren hinzuzufügen. Natürlich haben wir auch schmerzliche gemeinsame Erfahrungen, aber vor allem eine reiche gemeinsame Geschichte und eine h?chst spannende gemeinsame Gegenwart. Eine gemeinsame Gegenwart im europ?ischen Haus, in einem politischen und kulturellen Gebilde, dem nach Ansicht mancher kluger K?pfe noch die Seele fehlt. Vielleicht ist sie von den Diagnostikern, die Europa eine Seele geben wollen, aber auch nur übersehen worden - eine Seele zu finden, ist schwer, wie der Psychologe gewi? wei?, und Seelenkunde, also Menschenkenntnis, so sagt Schleiermacher in seiner erw?hnten Psychologie-Vorlesung, ist ein "unleugbarer Vorzug der Frauen" (S. 299). Umso mehr freuen wir uns hier in Berlin, da? Sie, verehrter Herr Staatspr?sident Ilves, heute zu uns gekommen sind, um mit uns über Europa nachzudenken und auf diese Weise eine überaus erfolgreiche Vorlesungsreihe des Walther-Hallstein-Institutes fortsetzen.


Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t