Humboldt-Universit?t zu Berlin

Festveranstaltung für Professor Wolfgang Hardtwig

Gru?wort am 10. November 2009

Wollte ich, verehrter, lieber Herr Hardtwig und sehr verehrte Damen und Herren, Vorurteile über die historische Kompetenz von Kirchenhistorikern best?tigen, mü?te ich nur behaupten, da? ich Sie das erste Mal bewu?t wahrgenommen hatte, als im Jahre 1997 die "Theologische Realenzyklop?die" den Buchstaben "R" erreicht hatte und ich Ihren dichten Artikel über den gro?en Ranke las - und dabei befriedigt wahrnahm, da? Sie zu der leider immer noch viel zu kleinen Zahl von Kollegen geh?ren, die den tief ironischen, zugleich polemisch antihegelschen Unterton des berühmten Satzes über das Zeigen des eigentlich Gewesenen aus den "Geschichten der romanischen und germanischen V?lker" bemerkt und notiert haben. Und wollte ich weiter Vorurteile schüren, dann mü?te ich jetzt aus dem Genre des Gru?wortes vollst?ndig ausbrechen und in eine Diskussion über die Frage eintreten, ob nicht die Erz- und Intimfeinde Droysen und Ranke eben darin verbunden sind, "da? alles geschichtliche Handeln letztlich providenzgetragen sei", wie Sie das für Ranke beschreiben (TRE XXVIII, 135) - und die eigentlich spannende Frage ist, wie unterschiedlich trotz aller Gemeinsamkeiten beide gro?e Berliner Historiker diesen Providenzgedanken behandelt haben - ist er beim Superintendentensohn Droysen verkappter, vertuschter, verkleideter, versteckter als bei Ranke, dessen famili?re theologische Wurzeln ebenfalls unübersehbar sind? Ihre Antwort, lieber Herr Hardtwig, würde mich interessieren, hat mich aber heute nicht zu interessieren, denn wir befinden uns hier ja nicht in einem Kolloquium über Geschichtsschreibung im neunzehnten Jahrhundert (wie vor gar nicht so langer Zeit im Senatssaal dieser Universit?t), sondern in einem Festakt anl??lich Ihres Geburtstages und da schickt es sich nicht, Sie mit Fragen zu überfallen, da geh?ren Sie gefeiert, auch und gerade durch den Pr?sidenten dieser Universit?t.

Und weil unehrliche Feierreden zu feierlichen Anl?ssen eher problematisch wirken, gestehe ich also hier ganz offen, da? ich gar nicht zuerst die Beitr?ge von Ihnen wahrgenommen habe, die für den Kirchenhistoriker eigentlich einschl?gig w?ren - also beispielsweise Ihren Beitrag über "Political Religion in Modern Germany" von 2001 oder Ihre auf die Habilitationsschrift zurückgehende Monographie "Genossenschaft, Sekte, Verein: Geschichte der freien Vereinigung in Deutschland", deren erster Band unter dem Lektorat des wunderbaren Ernst Peter Wieckenberg in München 1997 erschien und für mein Fach so Essentielles wie den radikalreformatorischen Bund Thomas Müntzers behandelt. Nein, Sie sind dem Promotionsstudenten Christoph Markschies erstmals als Didaktiker des akademischen Unterrichts, n?mlich durch Ihr Büchlein "?ber das Studium der Geschichte" begegnet, bekanntlich ein Taschenbuch aus dem Jahre 1990, das einundzwanzig "grundlegende Texte zur Theorie der Geschichte und der Geschichtswissenschaft" sammelt, von Chladenius bis Kocka, von einem Erlanger Theologen bis zu einem Bielefelder Sozialgeschichtler. Vieles, was dort klug pr?sentiert und annotiert wird, versteht sich von selbst, Schiller, Ranke, Droysen, Nietzsche, Weber - aber eben nicht alles: Unter dem Titel "Die Verbesserung der Forschung und Lehre in der Geschichtswissenschaft der Deutschen Demokratischen Republik" wird ein Beschlu? des ZK der SED von 1955 auf elf Seiten geboten, in der aparten Nachbarschaft von Gerhard Ritter und Christian Meier und das Vorwort von Wolfgang Hardtwig verr?t: "Ernst Engelberg (Berlin) verdanke ich den Hinweis auf den Beschlu? des Zentralkomitees der SED" (aaO. 10). Offenbar waren Sie auch schon vor der Berufung hierher hier, in Berlin-Mitte, zu Hause.

Sie ahnen, verehrte Damen und Herren, den Sinn dieser meiner Bemerkungen: Wenn ich Ihnen, lieber Herr Kollege Hardtwig, heute abend für die Jahre engagierten Lehrens und Forschens an der Humboldt-Universit?t seit 1991 danke, dann nicht nur aufgrund der Aktenlage, sondern durchaus auf Grund von pers?nlichen Eindrücken, beispielsweise dem Einsatz des n?mlichen Büchleins in einer ganzen Reihe von kirchengeschichtlichen Proseminaren und sonstigen Lehrveranstaltungen. Manche dieser Eindrücke sind, auch das will ich ganz ehrlich eingestehen, durchaus ziemlich frisch. Denn es geh?rt zu den gr??ten Vergnügungen eines Pr?sidenten dieser Universit?t, anl??lich von festlichen Anl?ssen wie Geburtstagen und Emeritierungen seine mehr oder weniger zuf?lligen Leseindrücke systematisch auszubauen und sich einen ?berblick darüber zu verschaffen, was Gegenstand seiner laudatorischen oder eisagogischen Bemühungen sein k?nnte. Und bei solchem Gesch?fte, lieber Herr Hardtwig, hat sich mir der Eindruck aufgedr?ngt, da? sie eigentlich fast zwangsl?ufig 1991 nach Berlin kommen mu?ten, nicht nur wegen des Textes aus dem ZK der SED: Wer 1990 Aufs?tze zum Thema der Denkmalsdebatten in Deutschland im zwanzigsten Jahrhundert ver?ffentlicht, der geh?rte an den Ort, an dem nicht nur erbittert über das Holocaust-Denkmal am Brandenburger Tor gestritten wurde, sondern immer noch über ein Einheitsdenkmal vor dem als Humboldtforum wiederaufzubauenden Berliner Stadtschlo? debattiert wird. Wer so gern über Droysen und Ranke, über die Siegess?ule und den Innenhof des Berliner Zeughauses nach dem Umbau 1877, über Siegesallee und Nationaldenkmal Kaiser Wilhelms auf der Schlo?freiheit schrieb, der mu?te im Grunde in die r?umliche Nachbarschaft dieser Orte. Und so schrieben Sie dann, einmal nach Berlin und in den nicht einfachen Neuaufbau des Historischen Instituts gekommen, auch weiter über Berlin - beispielsweise im Jahrbuch der hiesigen Museen über "Kugler, Menzel und das Bild Friedrichs des Gro?en" oder über die gro?en Berliner M?zene und Sammler zu Beginn des letzten Jahrhunderts, Eduard Arnhold, Wilhelm von Bode und Harry Graf Kessler, mit wie gewohnt kr?ftigen Urteil: Bodes Memoiren charakterisieren Sie knapp "merkwürdig ?de" (Hochkultur des bürgerlichen Zeitalters, 346f.) und wer je, beispielsweise begeistert von Bodes Berliner Museum, in die Bibliothek gegangen ist und zu den inzwischen in kommentierter Ausgabe vorliegenden B?nden seiner Lebensbeschreibung gegriffen hat, wird vielleicht anfangen wollen, mit Ihnen zu diskutieren, aber eben das ist ja ein Zeichen von Güte wissenschaftlicher Arbeit, wenn sie zum Diskussionen einl?dt und ich als Kirchenhistoriker werde mich natürlich hüten, mit Ihnen, dem studierten Kunsthistoriker, über Bode zu diskutieren, da sitzen schon hier im Raume peritissimi, mit den der Pr?sident nicht zu konkurrieren versuchen sollte. Au?erdem wollte ich ja die angesichts des Oeuvres von Hardtwig naheliegende Gefahr, ein Gru?wort als wissenschaftliches Gespr?ch mit einem Geburtstagskind anzulegen, eigentlich vermeiden und mu? nun bekennen, da? mir das eigentlich bereits zum zweiten Mal nicht wirklich gelungen ist.

Aber, lieber Herr Hardtwig, das kann und mu? man ja zu Ihrem Ruhm sagen: Wenn einen irgendwie - und sei es nur irgendwie - die Geschichtswissenschaft interessiert, ist es eigentlich gar nicht m?glich, an Ihnen vorbeizukommen. Sie ziehen einen ins Gespr?ch, in die Diskussion, mit Ihren gro?en 金贝棋牌 (da mu? ich ja nur das Stichwort "Bürgerliche Gesellschaft" nennen …) und natürlich auch mit Ihren Thesen - beispielsweise mit dem vorsichtigen Versuch, die historische Sozialgeschichte hin zur Kulturgeschichte zu ?ffnen, wenigstens hin zur politischen Kulturgeschichte, ungeachtet aller Blitze, die manchmal aus der Bielefelder Steppe gegen die Kulturgeschichte geschleudert werden. Oder, das mu? im Jubil?umsdoppeljahr unserer Universit?t noch erw?hnt werden, mit Ihren im eigentlichen Sinne universit?tsgeschichtlichen Beitr?gen, in denen jedenfalls nicht dem Mythos einer schlechterdings einzigartigen, gleichsam vom Humboldtschen Ideenhimmel gefallenen Alma Mater Berolinensis das Wort geredet wird

Mit alledem, als akademischer Lehrer und Forscher, haben Sie zum Ruhme des Historischen Institutes der Humboldt-Universit?t beigetragen und deswegen gratulieren an Ihrem Geburtstag nicht nur dieses Institut, Ihre Freunde und Kollegen, sondern eben auch der Pr?sident dieser Universit?t - nicht leibhaft, weil er leider trotz aller Bemühungen verhindert ist, aber immerhin mit diesen unvollkommenen Versuchen, seine bleibenden Eindrücke von Ihren Arbeiten anzudeuten. Da? Sie und ein ganzes Auditorium solche Versuche geduldig angeh?rt haben, erfüllt den abwesenden Pr?sidenten auch in der Ferne mit Dankbarkeit. Er entbietet Ihnen herzlichste Glück- und Segenswünsche, der ganzen Veranstaltung wünscht er aber einen guten Verlauf.


Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t