Humboldt-Universit?t zu Berlin

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Gru?wort zur Er?ffnung der Ausstellung ?Johann Gustav Droysen 1808-1884“

30. Juni 2008

?Vorworthistoriker“, ?politischer Historiker“ – seit l?ngerem, verehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Hackel und liebe Damen und Herren, seit l?ngerem frage ich mich, ob man nach der radikalen Dekonstruktion der uns allen wohl vertrauten Droysen-Hagiographie durch unseren Kollegen Wilfried Nippel als einer der bisherigen Mitt?ter im Idealisierungskartell überhaupt noch unbefangen das Wort ergreifen kann und sei es im schlichten Rückzug auf die Rolle als Pr?sident einer Universit?t, an der Droysen einst studierte, dann besch?ftigt war und die nun das Glück hat, eine Ausstellung über ihn zu beherbergen. Sie ahnen ohne viele Worte, zu welchen Ergebnissen das Nachdenken geführt hat: Unbefangen kann ich post Nippel locutum natürlich nicht mehr das Wort ergreifen und auf die Rolle des Pr?sidenten, der für eine wunderbar vorbereitete Ausstellung dankt, wollte ich mich auch nicht zurückziehen. Und das, obwohl der offenbar begnadete Lehrer Droysen, der in Schule wie 金贝棋牌 anscheinend Beeindruckendes leistete, sich durchaus als Aufh?nger für das übliche Humboldt-Mantra ?Forschung und Lehre“ eignen würde – allein, ich habe in den vergangenen zweieinhalb Jahren so h?ufig solche wilhelminischen Pseudohumboldtiana zu dekonstruieren versucht, da? ich so schlicht vor den Nippelschen Dekonstruktionen nicht davonrennen darf. Ich werde Sie alle also vielmehr hier als Kirchenhistoriker und Theologe begrü?en, mich der Herausforderung eines neuen Diskussionsstandes stellen und das Gru?wort nach bekannt deutscher Manier zun?chst einmal zur selbstbezüglichen Vergangenheitsbew?ltigung nutzen und zun?chst also – pater peccavi – bu?fertig bekennen, wo ich als bisheriger Mitt?ter im Idealisierungskartell schuldig geworden bin. Da? ich dann – ebenfalls nach bekannt deutscher Manier – trotzig noch einige Lesefrüchte des Dilettanten im Werk Droysens nachreiche und meine eigenen Schlüsse daraus ziehe, h?ngt – um den Satz in die Ironie zu wenden – ganz schlicht daran, da? ich vor rund zw?lf Jahren ein einführendes Lehrbuch für kirchengeschichtliche Proseminare geschrieben und dabei Droysens Historik immer wieder benutzt habe und bei der anstehenden Revision zu radikalen Eingreifen wenig geneigt bin. Berufen darf ich mich immerhin darauf, da? selbst Wilfried Nippel, dem eine Rezensentin ?untergründigen Groll“ gegen Droysen unterstellte, in seinem Buch schw?rmen kann wie Felix Mendelssohn-Bartholdy: ?Ich lobe mir’s Lebendige, Fruchtbare, und danke Dir von ganzem Herzen, da? Du mir jene Welt so lebendig gemacht hast“, schreibt der Freund dem Freunde unter Datum vom 24. Januar 1838 über die Aristophanes-?bersetzung Droysens; genialisch nennt Nippel die von ihm luzide in die Debatte der Zeit eingeordnete ?bersetzung.

Nun aber zu den angekündigten zwei Teilen des Gru?wortes und also zun?chst einmal das Pater peccavi des einstigen Mitt?ters im Kartell der Idealisierer. Natürlich hat Nippel recht. Droysen ist – ?Vorworthistoriker“, wie übrigens so manche andere auch. Er schreibt über Alexander den Gro?en und seine Nachfolger, er baut über Vorworte und Titel?nderungen eine veritable ?Geschichte des Hellenismus“ zusammen, in der das im Vorwort entfaltete hochtheologische Konstrukt eines vom Paradies an die Welt pr?genden Ringen zwischen Orient und Okzident das Werk selbst überhaupt nicht pr?gt oder strukturiert und entsprechend auch der Ton des Vorwortes in der zweiten Auflage drastisch erm??igt wird; jeder, der den Text des in drei B?nden nachgedruckten Werkes auf der im Handel befindlichen CD-Rom nach dem n?mlichen Stichwort ?Hellenismus“ durchsucht, wird sofort verstehen k?nnen, was Nippel meint und ich gern best?tige: Gerade weil die hochtheologische Deutung des Hellenismus im Kontext eines Weltringens sich in den B?nden der Geschichte des Hellenismus am historischen Stoff nicht belegen lie? und zurückgezogen wurde, konnten entsprechende Debatten über die Hellenisierung des Christentums oder über das Verh?ltnis von Judentum und Hellenismus ausbrechen – mir scheint, wenn man von Droysen über Harnack bis Hengel diese Debatten verfolgt, der Begriff nur noch m??ig geeignet, um als Leitkategorie für die Beantwortung der berühmten Fragen nach der geistigen Signatur von Religionen, Religionskonstellationen oder Epochen zu dienen. Für eine Geschichte des antiken Christentums halte ich ihn nach zw?lf Jahren selbst?ndiger akademischer Lehrt?tigkeit inzwischen für vollkommen unbrauchbar und warte gespannt, ob jemand die Wiederbelebung dieser begriffsgeschichtlichen Leiche noch einmal gelingt.

Sodann: Natürlich ist auch das Material, das wir seit den Editionen des zwanzigsten Jahrhunderts ?Historik“ nennen und nutzen, nicht einfach ?reine Theorie“, sondern der Versuch, sich in einem Feld, oftmals einem Schlachtfeld von Debatten über historische Methode zu profilieren, einen Standort jenseits von Ranke und Buckle zu begründen, das unter dem Dauerfeuer abgebrochene Gro?projekt einer Geschichte der alten Welt und die anderen Schwerpunkte des Lebenswerkes als praktische Triebe ein- und desselben Theoriebaumes zu pr?sentieren. Und sicher hat die ?Historik“ genannte Einführungsvorlesung auch eine politische Dimension im weltanschaulichen Deutungskampf der zweiten H?lfte des neunzehnten Jahrhunderts: Da? die Geschichtswissenschaft magistra vitae wurd in einem ganz unmittelbaren Sinn, ist sicher auch ein Ziel der Geschichtsphilosophie Droysens, die Nippel als Strategie deutet, eine dem Urheber mindestens dann verborgene Strategie, wenn er dem Freund Mendelssohn-Bartholdy über den Unsegen unseres nur theoretischen Lebens schreibt, 1846 noch dazu.

Ohne da? ich also ein Jota von solchem Denkmalssturz abmarkten und meine confessio peccati dadurch entwerten m?chte, bleibt natürlich die Frage, ob doch noch mehr und anderes über Droysen zu sagen ist als eben diese eher kritischen Bemerkungen zur ?Geschichte des Hellenismus“ und zu den Grundrissen der Historik. Zugegeben: eine reichlich weite Frage, die nun ganz gewi? nicht in einem Gru?wort beantwortet werden kann, im Grunde nach den Gesetzen des Genres nicht einmal als Frage angerissen werden dürfte. Mir geht es auch nicht um ein Projekt der Rettung Droysens – wenn Nippel ihn tats?chlich versucht haben sollte, vom Denkmal zu stürzen, sticht der Einwand, da? er da l?ngst nicht mehr drauf stand, allenfalls in bestimmter Perspektive, etwa aus der westf?lischen Tiefebene. Nein, sie ahnen, da? der Kirchen- und Theologiehistoriker gern noch einmal seine Fragen an Person und Oeuvre Droysens stellen würde, also beispielsweise fragen würde, ob wir schon genügend den Einflu? des früh verstorbenen Vaters, des Garnisonspfarrers und Superintendenten Johann Christoph Droysen wahrgenommen haben. Ich denke nicht nur an die tief geschichtstheologische Herleitung des Hellenismus aus dem endzeitlichen Kampf von Orient und Okzident, nein, ich denke beispielsweise auch an bestimmte Passagen der Historik, beispielsweise die über geschichtliche Schuld. Wenn man aus Droysens Historik nicht nur einen Nachweis der unhintergehbaren Subjektivit?t des Historikers lesen darf, sondern auch eine Rechtfertigung von Parteilichkeit als unüberwindbarer Standortgebundenheit – dann w?re ohne viele Worte deutlich, da? hier vielleicht weniger problematische Historiographie denn eine niemals überwundene theologische Eierschale, wenn nicht mehr, vorliegt. Nippel spricht von ?geschichtsreligi?sen Geraune“ (S. 231), ja, so mu? das die nüchterne Kritik formulieren, der Theologiehistoriker sieht darin den nationalreligi?sen Aufbruchston der antinapoleonischen Erhebung, mithin des Milieus, in dem Droysen aufgewachsen ist. Und natürlich nicht nur den nationalreligi?sen Aufbruchston, sondern – beispielsweise in den berühmten Worten vom fragmentarischen Charakter unserer Rekonstruktion von Vergangenheit am Schlu? seiner Jenaer Vorlesung – eine deutliche Widerspieglung von Grundelementen einer klassischen protestantischen, lutherischen Anthropologie, in der die Vollendung menschlicher Fragmentarit?t von anderswoher erwartet wird als von der Quellenarbeit des Historikers. Ich mu? abbrechen, auch wenn es jetzt natürlich lohnen würde, Ranke ins Zwiegespr?ch zu ziehen, der mindestens ebenso deutlich seine theologischen Eierschalen verr?t und sich nicht in nüchterner Quellenkritik und ironischen Sottisen darüber, wie es eigentlich gewesen, ersch?pft. Allein: Das heute nicht, jedenfalls nicht in einem Gru?wort. Nur noch soviel: Jedenfalls ist deutlich, da? es weder heute noch damals beim Streit allein und ausschlie?lich um die Bedeutung der Quellenkritik geht oder ging, würden wir dies behaupten, w?ren wir erneut den Selbststilisierungen von Historikern zum Opfer gefallen. Der Streit zwischen Droysen und Ranke l??t sich ebenso wenig auf die Quellenkritik reduzieren, wie das abschlie?ende Urteil über Droysen von dieser methodologischen Kernaufgabe des Historikers allein her gef?llt werden darf. Ein kluger Historiker im Feuilleton einer Frankfurter Zeitung hat geschrieben: ?Die Wucht von Nippels polemischer Auseinandersetzung rechtfertigt sich aus einer gl?nzenden Demonstration der Leistungskraft der Quellenkritik“. Das beginnt schon bei Nippels Bemerkungen zu der Quellenbasis des Buches über Alexander den Gro?en: Droysen ?hatte mitnichten, wie sp?ter … behauptet wurde, ?Quellenforschung betrieben“, bilanziert der Biograph nüchtern (31). Ich für meinen Teil halte, vielleicht auch aus berufsbedingter Blindheit, daran fest, da? die unterschiedlichen geschichtstheologischen Pr?missen – und heutigentags auch die negative Geschichtstheologie in Gestalt ihrer expliziten Ablehnung – für das Verst?ndnis der gro?en Kontroversen des neunzehnten Jahrhunderts einschl?gig sind.

Nun mu? ich wirklich abbrechen, bevor ich beginne, eine Vorlesung zu halten. Abbrechen, um zu danken. Denn es ist die wundersch?ne Ausstellung von Frau Hackel und den ihren, die solche Fragen provoziert, es ist die Biographie von Wilfried Nippel, die zu solchen Debatten anregt – mithin sind alle wichtigen Voraussetzungen für neue Debatten um Droysen hier in dem Hause gelegt worden, in dem er einst wirkte. Das ist nicht wenig und dafür ist allen Beteiligten sehr herzlich zu danken.


Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t