Er?ffnung des Geisteswissenschaftlichen Kollegs ?Arbeit und Lebenslauf in globalgeschichtlicher Perspektive“ an der Humboldt-Universit?t zu Berlin
Gru?wort vom 10. November 2009
Was, mein lieber Andreas Eckert, verehrter Herr Ministerialdirektor, meine Damen und Herren, macht ein Pr?sident, der gleich zweimal an einem Tag von klugen Historikern aus dem Umfeld der historischen Sozialgeschichte um ein Gru?wort gebeten wird, beim Abfassen des zweiten Gru?wortes? Nachdem er bereits zur Vorbereitung für einen Geburtstagsglückwunsch für einen klugen Neuzeithistoriker der eigenen Universit?t heute um Fünf viel zu viel gelesen, neugierig Aufsatz um Aufsatz durchgebl?ttert hat? Die Zeit wird knapp und er greift, um das Gru?wort für um Sechs und einen nicht minder gesch?tzten Historiker vorzubereiten, nun radikal zu den Hilfsmitteln, mit denen auch anderswo die Gru?worte vorbereitet werden, den Lexika. Und beginnt, weil die B?nde direkt unter den Schriften zur historischen Theorie (und damit den Büchern des Geburtstagfeiernden Wolfgang Hardtwig stehen) mit Band eins des "Handw?rterbuchs des deutschen Aberglaubens", Stichwort "Arbeit, arbeiten", 1927 erschienen, Autor B?chtold-St?ubli. Der Blick entt?uscht, wie gleich der erste Satz des n?mlichen Artikels deutlich macht: "Vom Standpunkt des Aberglaubens kommen in der Hauptsache Arbeitsverbote in Betracht" (HdA I, 568). Mit R?sonieren über Arbeitsverbote kann man auch als Pr?sident schlecht zur Er?ffnung der Arbeit eines Kollegs über "Arbeit und Lebenslauf in globalgeschichtlicher Perspektive" grü?en. Und es geht auch nicht wirklich glücklich weiter im erw?hnten Artikel: "Wer in Hessen an einem ersten Feiertage eine unerlaubte Arbeit tut, mu? sie nach seinem Tod in Ewigkeit forttun" - ja, das ist wohl eine Aussage über Arbeit und Lebenslauf, aber die globalgeschichtliche Perspektive kommt bei einem Beginn ausgerechnet in Hessen nicht wirklich zum Tragen.
Solcherma?en von einem Lexikon entt?uscht, da? mindestens in seinem Artikel "Arbeit" in ?u?erst mi?verst?ndlicher Diktion "vom Standpunkt des Aberglaubens" aus verfa?t ist, griff ich zu dem Lexikon, das in meinem Regal - ungelogen - unmittelbar neben dem Handw?rterbuch steht, dem "Historischen W?rterbuch der Philosophie". Einschl?gig sind die Artikel "Arbeit" und "Arbeiter, Arbeiterfrage" von Krüger, ebenfalls aus dem ersten Band, 1971 erschienen, Autoren Chenu und Conze. Der erste Artikel aus der Feder eines bekannten Experten für mittelalterliche Scholastik kommt so geschraubt daher, da? er sich eigentlich für ein abendliches Gru?wort auch nicht wirklich eignet: "Auch in der Geschichte ihres vorphilosophischen und philosophischen Gebrauchs entbehren die W?rter für Arbeit indes nicht des menschlich-existenziellen Sinnes" (HWPh I, 480). Ist nun die Philosophie aus dem Blickwinkel des den Artikel abfassenden Dominikanerpaters so lebensfern, da? sie den Worten ihren menschlich-existenziellen Sinn nimmt, Worte unmenschlich und lebensfern-theoretisch macht - dann würde es wirklich darauf ankommen, sie zu ver?ndern, wie ein prominenter, der katholischen Theologie eher fernstehender Denker formuliert hat, der allerlei über Arbeit zu sagen wu?te. Oder kommt erst durch die Philosophie Menschlichkeit und ein existentieller Sinn in die Begrifflichkeit? Gewi?, globale Fragen, die der Herr Chenu Ordo Praedicatorum da aufwirft, aber eher keine globalgeschichtlichen Fragen. Au?erdem verdrie?t den im Pr?sidentenamt rastlos schaffenden Altertumswissenschaftler an diesem Artikel schon, da? er dort sein Lieblingszitat zum Thema "Arbeit" nicht lesen kann: Labor improbus omnia vincit, "in allem bew?hrte sich siegreich arge Mühsal", wie der Dichter Vergil mit Blick auf die Berliner Finanzlage, das neu erblühte Antragswesen der deutschen Exzellenzwettbewerbe und die Anstrengungen, ein solches Kolleg einzuwerben, bereits vor etlichen hundert Jahren formuliert hat (Georgica I 145). Und mindestens dieses Zitat braucht es doch, um Andreas Eckert und Jürgen Kocka für die Mühe zu danken, die diesem Antrag zum Erfolg verholfen hat; ich wei?, wovon ich rede, denn ich war in Bonn dabei und habe beide sprechen geh?rt und ihre Texte gelesen, bevor ich sie unterschrieb. Und denke immer an eine wundersch?ne Konferenz zum Thema "Arbeit", zu der der permanent fellow Jürgen Kocka auch die impermanent fellows des Wissenschaftskollegsjahrgangs 1998/1999 an einem nebligen Sonnabend in den Henry-Ford-Bau einlud. Es ist mir ein Vergnügen zu sehen, da? der damals verfolgte Ansatz in globalgeschichtlicher Modifikation und unter Hinzunahme des gleichfalls klassischen Berliner Themas "Lebenslauf" nun für eine ganze weitere Zeit neue, spannende Forschung verspricht.
Ich verzichte darauf, Ihnen nun den Artikel "Arbeit" aus dem philosophischen W?rterbuch weiter zu glossieren, obwohl er besser wird, je n?her er an die Gegenwart kommt, da? der Kirchenhistoriker im Pr?sidentenamt mit den Abschnitten zu Luther und Calvin gleichwohl nicht zufrieden ist, wird sie nicht überraschen. Und da? Conze zum Thema "Arbeiter, Arbeiterfrage" etwas zu bemerken hat, überrascht natürlich auch niemanden, der hier im Raum sitzt. Aber globalgeschichtlich argumentiert natürlich auch der Altmeister der deutschen Sozialgeschichte nicht - Bettelm?nchspredigten, die Reichsgewerbeordnung von 1869/1871, und der bereits genannte, leicht antikatholische Denker aus dem Rheinland. Wir bleiben, etwas despektierlich formuliert, wieder in Hessen und angrenzenden Regionen, wie im Handw?rterbuch des Aberglaubens und das ist nicht besser in den Artikeln "Arbeitsethos" (beschr?nkt auf Genf und den dortigen Protestantismus), "Arbeitsteilung" und "Arbeitswelt". In Summa: Die Literaturlage, jedenfalls diese Literaturlage, l??t keinen Zweifel daran, da? eine Erforschung des Themas "Arbeit" in globalgeschichtlicher Perspektive ein dringendes Desiderat darstellt.
In dieser Lage griff ich zu einem dritten Lexikon, das ein wenig entfernt von den beiden anderen steht, zu den "Geschichtlichen Grundbegriffen" und Werner Conzes Artikel über "Arbeit", in Wahrheit - nimmt man den gleichfalls von Conze verfa?ten Beitrag "Arbeiter" dazu - eine kleine Monographie. In diesem überaus gründlichen Beitrag steht nun natürlich der Satz Vergils zu lesen und ist insofern nichts zu bekritteln - aber wieder fehlt jede globalgeschichtliche Perspektive. Conze, in den schwierigen Jahren 1969/1970 Rektor der Ruperto-Carola, hat sich sozusagen gerade einmal von Duderstadt nach Heidelberg bewegt, obwohl er doch eigentlich stets interdisziplin?r dachte und handelte und durch zahlreiche internationale Initiativen - insbesondere in Richtung Frankreich, Japan und der Sowjetunion - der Provinzialit?t der deutschen Geschichtswissenschaft entgegenwirkte, wie es (horrible dictu, aber zutreffend) in einem bekannten Internetlexikon hei?t. Aber ich will gleich sagen, da? ich als Altertumswissenschaftler auch nur kaum in der Lage w?re, diesen engen Blick unserer Vorv?ter zu erg?nzen (etwas despektierlicher: ein paar Tage Kuba machen einen noch nicht, wie einstens Alexander von Humboldt in seinem gro?en Kuba-Werk, zum Experten für Sklavenarbeit in Neuspanien) und mich deswegen umsomehr über das und auf das freue, was heute hier beginnt oder pr?ziser heute hier feierlich er?ffnet wird.
Gru?worte sollten nicht zulange dauern: Der eingangs erw?hnte Artikel "Arbeit" im Handw?rterbuch des deutschen Aberglaubens schlie?t mit erschr?cklichen Geschichten: Wer als Frau seine Arbeit nachl?ssig verrichtet, bekommt mindestens nach dem Glauben der Menschen in Duderstadt (und auch das liegt wieder in Hessen) einen Witwer zum Mann. Vor allem aber wird der und die, die beim Mondschein arbeiten und so wider Gottes Sch?pfungsordnung die Nacht zum Tage machen, schlimme Folgen zu gew?rtigen haben, für Details verweise ich auf den genannten Artikel. Da, wenn mich nicht alles t?uscht, bereits der Mond scheint, will ich lieber nicht l?nger arbeiten (und also mein Gru?wort zu einem Ende bringen), sondern vielmehr dem Herrn Kollegen Eckert, den anderen Tr?gern und Mitarbeitenden, Fellows und G?sten nur noch stets glückliche Umst?nde beim Arbeiten über die Arbeit wünschen, die rechte Stunde und die rechte Intensit?t, die die glücklichen Einf?lle und die bemerkenswerten Ergebnisse mit sich bringt. Die ganze Universit?t freut sich, da? es gelungen ist, das Kolleg zu installieren und freut sich auf die Ergebnisse seiner Arbeit: Glück auf, wie man in bestimmten, durchaus auf Hessen nicht beschr?nkten Arbeitszusammenh?ngen sagt.
Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Pr?sident der Humboldt-Universit?t